29. August 2022

Nach der Wende verstärkte sich bei vielen Cottbusern der Wunsch nach den eigenen vier Wänden. Man konnte zwar nun mittlerweile Grundstücke kaufen, aber bis Mitte der 90er Jahre gab es kaum städtebauliche Planungsunterlagen nach neuem Recht oder als Baufläche ausgewiesene Bereiche oder gar bestätigte Bebauungspläne. Bei den Grundstücken selbst, waren Eigentumsfragen durch Rückübertragungen, nicht sorgfältig geführte Grundbücher oder Uneinigkeit von Erbengemeinschaften schlicht ungeklärt. Die Zinsen der Banken lagen Anfang der 1990er Jahre bei bis zu 12,8% effektivem Jahreszins. Wahrlich keine guten Vorraussetzungen, um ein Haus zu bauen.

Am 1. Oktober 1992 beschreibt die Lausitzer Rundschau in einem Artikel auf Seite 18 die Situation wie folgt:
„Der Traum vom eigenen Haus – Nahezu in jeder Gemeinde im Landkreis will man Eigenheimstandorte ausweisen. Nicht Wenige zieht es aus dem Platten-Vierteln in ein Heim im Grünen. Doch ein eigenes Heim werden sich die meisten so schnell nicht bauen können. Wer hatte im Land Brandenburg in der Vergangenheit schon Gelegenheit, sich eine nennenswerte Geldsumme anzusparen. Das wird sich erst in Zukunft allmählich ändern. Und schon jetzt, zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, sieht man auf Dachstühlen in Gemeinden zahlreiche Richtkränze. Bauen ist leichter geworden.“

Zu dieser Zeit gab es nur zwei bestätigte größere Vorhaben im Umland von Cottbus. Das Baugebiet in Döbbrick „Am Spreebogen“ und das Projekt in Sielow „Wohnpark an der Schule“ Beide hatten die Planungsphase abgeschlossen und befanden sich mitten in den Erschließungsarbeiten bzw. Tiefbauarbeiten. Das Projekt „Wohnpark Sielow – An der Schule“ in Sielow wurde zunächst von der Cottbuser Firma „Procoma – Immobilienhandels- und Unternehmensberatungs-GmbH i.G“, Karl-LiebkechtStraße 18 in 7500 Cottbus realisiert. In diesem Zusammenhang einen recht herzlichen Dank an Torsten Harries, dem damaligen Geschäftsführer, zur Einräumung der Nutzungsrechte der Bilder und Abbildungen in diesem Artikel. Die Bebauung der 70.064 qm (ca. 7 ha) großen Grundstücksfläche (ehemals Kartoffelacker im Osten des Dorfes, bei der Realschule am Kiefernwaldrand) sollte mit Wohnhäusern verschiedener Wohnqualität – wohnen in Verbindung mit dem Gartengrundstück – bei Zuordnung ausgewählter Gemeinbedarfseinrichtungen erfolgen. Die Wohngebäude waren als flächensparender, kostengünstiger Wohnungsbau im Zuge der Wohnungsbauförderungsmaßnahmen konzipiert. Insgesamt waren 245 WE (Wohneinheiten) mit einer Grundfläche je Haus von 50 bis 90 qm und einer, Grundfläche je Grundstück 150 bis 350 qm geplant.

Die Bebauung war wie folgt geplant:

„Wohngebäude als Terrassenhofhäuser, Reihenhäuser mit Garage, Reihenhäuser, Kreuzhäuser flächensparend und als Segmenthaus für verschieden große Eigentumswohnungen. Qualitätsmerkmale sind unter anderem nach zwei Gebäudeseiten belichtete, belüftete Wohnungen, außerdem die Orientierung zur Gartenseite als sogenannte „Ruheseite“ sowie eine Reihe aufeinander abgestimmte Gestaltungslösungen hinsichtlich Baukörper, Material- und Farbkonzeption. Alle Wohngebäude sind ohne Keller und ohne Schornstein (da Nachtstromspeicherheizung) konzipiert. Ausnahme: Keller im Segmenthaus.“

Die Garagen sollten in partieller Zuordnung zu den Wohnhäusern entstehen. Weiterhin war ein Segmenthaus (Wohnblock) mit 30 WE geplant. Darüber hinaus wurden im Prospekt Gemeinbedarfseinrichtungen wie ein Dorfhaus, Verwaltung, medizinische Betreuung und Versorgungseinrichtungen versprochen. Die technische Infrastruktur wurde mit Verkehrserschließung, Wohnstraße, Wohnwege, Versorgung, Anschluss an das öffentliche Netz, Entsorgung über Kleinklärsystem mit dem Ziel der Umstellung auf öffentliches Netz beschrieben.

„Bebauungsvorschlag in der Struktur des Wohnens: Wohngebäude mit Gartengrundstück – flächensparender Wohnungsbau. Verkehrserschließung als „Ringstraße“, von der aus zum Teil Wohnstraßen oder Wohnwege zu den
Wohngebäuden führen, für Feuerwehr und Krankentransport befahrbar gestaltet. Garagen in partieller Zuordnung.
Differenzierte Raumsituation: Straßenräume und intime Gartenräume in Verbindung mit verschiedenen Arten von Wohngebäuden und Gemeinbedarfeinrichtungen.“

Die Häuser mit Grundstück sollten je nach Größe und Ausstattung von 257.000 DM bis 447.000DM kosten. Der Preis für den Quadratmeter erschlossenes Land von 60.00 DM war dabei inklusive. Insgesamt ein ziemlich gewagtes Projekt. Einerseits ein solches riesiges Wohngebiet, wie ein Fremdkörper an eine gewachsene Dorfstruktur zu bringen und andererseits als kleines „start-up Unternehmen“ ein solches planerisches, logistisches und finanzielles Risiko einzugehen. Am sonnigen 04. Juli 1992 von 10.00 bis 17.00 Uhr war Richtfest mit swingender Livemusik, reichlich Freibier und zünftigen Speisen. Über einhundert Gäste und zukünftige Hausbesitzer folgten der Einladung.
Kurz darauf übernahm das in Mannheim ansässige Bauunternehmen SÜBA die weitere Bauausführung. Im November 1992 zogen die ersten Familien fristgemäß in ihre Häuser des 1. Bauabschnittes – dem heutigen Schulweg. Im ersten und zweiten Bauabschnitt kauften viele Cottbuser und neu Zugezogene insbesondere Familien mit Kindern die Häuser zum Zwecke der Eigennutzung. Die Anderen wurden zum Investitionsobjekt zur steuerlichen Abschreibung durch Firmen oder Einzelpersonen und dann vermietet. Demzufolge hoch war die Fluktuation in diesen Häusern. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass auch Bundespolitiker aus den Alt-Bundesländern hier gekauft hatten. In der Folge jedoch ging nicht alles wie versprochen auf. Zugesagt waren mehrere Spielplätze. Es wurde dann letztlich ein einziger, ziemlich kleiner Spielplatz. Von den Versorgungs- und Gemeineinrichtungen wie medizinischer Betreuung, Dorfhaus und Verwaltung blieb nichts übrig. Dafür wurden durch die SÜBA an den dafür vorgesehenen Plätzen weitere freistehende Eigenheime errichtet. Schlimmeres konnte durch die Einwohner mit Beschwerden verhindert werden, als sie mitbekamen, dass auf der geplanten Stelle für den Spielplatz, fast über Nacht eine riesige Baugrube errichtet wurde. Die Pläne der SÜBA waren, dort ein zweites Segmenthaus (Wohnblock mit drei Etagen) hinzubauen. Offensichtlich gab es dafür aber keine hinreichende Baugenehmigung und das Projekt wurde aufgegeben und die Grube wieder zugeschüttet. Das Kleinklärsystem war letztlich eine offene Fäkaliengrube (wenigstens umzäunt) im Wald vor dem Fließ, welches über Jahre bis zum Anschluss an das öffentliche Abwassernetz der Stadt Cottbus eine ungeheure Geruchsbelästigung darstellte. Im Dorf selbst war die nächsten Jahre nicht viel Akzeptanz für das neue Wohngebiet. Von den „Eingesessenen“ wurde es als „Ghetto“ bezeichnet, wegen der vielen Hundehalter in der Siedlung manchmal auch als Dog-City, Der brandenburger Regionalsender RBB mit dem Format „Landschleicher“ berichtete vom Cottbuser Ortsteil Sielow 1997 in gewohnter Weise. Der Ortsteil Sielow wurde stark reduziert auf das Wohngebiet und nicht viel Gutes daran gelassen. Über 25 Jahre später zeichnet sich ein anderes Bild vom Wohngebiet. Mittlerweile wächst hier die zweite Kindergeneration heran. Es ist grün geworden und erstaunlicherweise angenehm ruhig. Die kleinen Gärten sind zu Oasen der Entspannung geworden und wirken meist gepflegt. Viele der Häuser haben vor kurzem eine neue individuelle Fassadengestaltung bekommen, der die kasernenhafte Anordnung der Häuser in der Hintergrund treten lässt. Kaum ein Haus steht hier leer und wenn, dann nur für kurze Zeit. Die Nachfrage ist groß. Man wohnt hier gern. Die versprochenen Infrastrukturen sind fußläufig erreichbar im Dorfkern. Dort findet man Arzt, Zahnarzt, mehrere Kindergärten, eine Grundschule, ein Blumengeschäft, zwei Backwarenverkaufstellen, einen Getränkemarkt, einen Fleischer, ein Autohaus mit Werkstatt, einen Metallbauer, Frisöre, altersgerechtes und betreutes Wohnen, Physiotherapie, ein Sägewerk und eine Tischlerwerkstatt, das Sportterrain der SG Sielow mit Fußball- und Tennisplätzen sowie dem Sportlerheim, ein griechisches Restaurant u.v.a.m. Die alte Dorfgaststätte mit Saal ist leider nicht mehr in Betrieb und auch einen Laden vermisst man im Dorf. Jedoch befindet sich das „Cottbus-Center“ mit dem Kaufland direkt am Ortseingang. Mit dem Auto oder Bus ist man in einer Viertelstunde im Zentrum von Cottbus oder in einer halben Stunde mitten im Spreewald. Der nahe Wald lockt zu Spaziergängen, zum Pilze suchen, Radfahren, Walking und Jogging. Wer es will, wird im Ortsteil schnell eingebunden und assimiliert. Ja – der Wohnpark ist ein Teil von Sielow geworden.